Schmerz wird in unserer Gesellschaft als ein negatives Phänomen wahrgenommen. Dabei hat sich diese Wahrnehmung das negative Image gar nicht verdient.
Bernhard Taxer, MSc
Physiotherapeut © Foto: Jokesch Helmut
Wenn wir als lebende Individuen Schmerzen nicht spüren könnten, würde
sich unsere Lebenszeit massiv reduzieren. Ohne diese Gefahrenmeldung im
Rahmen einer Verletzung, einer Infektion oder während einer Erkrankung
wäre es dem Menschen nicht möglich, rechtzeitig die richtigen Schritte
einzuleiten. Schmerz ist in der akuten Situation daher ein
Schutzmechanismus und immer von verschiedenen Komponenten geprägt. Diese
Komponenten beinhalten emotionale Aspekte genauso wie
biologisch-mechanische Faktoren oder das soziale Umfeld. Daher spricht
man bereits seit den 1970er-Jahren vom biopsychosozialen Denkmodell von
Schmerz. Auch wenn dieses Denkmodell in den verschiedenen
medizinisch-therapeutischen Disziplinen häufig noch vom rein
biomedizinischen verdrängt wird, ist sich die internationale
Schmerzgesellschaft IASP einig, dass nur eine Herangehensweise aus
biopsychosozialer Sicht sinnvoll ist. Dies impliziert automatisch auch,
dass nur eine multiprofessionelle Herangehensweise – die Zusammenarbeit
verschiedener Gesundheitsberufe – in der Behandlung von Schmerzen
zielführend sein kann.
Schmerzbegleitung
Neben der ärztlichen Behandlung spielt die Physiotherapie eine immer wichtiger werdende Rolle. Vor allem bei Schmerzen am Bewegungsapparat zeigt sich, dass Physiotherapie eine effektive Begleitung ist. PhysiotherapeutInnen, die ihre Ausbildung im Rahmen eines dreijährigen Fachhochschulstudiums mit Bachelor-Abschluss absolvieren, nutzen zur Behandlung von akuten und chronischen Schmerzzuständen manualtherapeutische bzw. passive Maßnahmen sowie aktives Training von möglicherweise verlernten oder eingeschränkten Bewegungsmustern. Eingeschränkte Bewegungsmuster müssen nicht zwangsläufig für die vorhandenen Schmerzen verantwortlich sein, können diese allerdings aufrechterhalten.
Eine große Herausforderung für alle Beteiligten, vor allem für die Betroffenen, stellen chronische Schmerzsyndrome dar. Man muss davon ausgehen, dass Schmerz bei dieser Form der Symptomatik seine ursprünglichste, wichtige Funktion verloren hat: die der Warnung. Unser Nervensystem, vor allem unser Gehirn, ist in der Lage, derart sensibel zu werden, dass es gar keinen mechanischen (Druck, Kräfte), chemischen (Entzündung) oder thermischen (Hitze, Kälte) Reiz mehr braucht, damit eine Alarmfunktion aktiviert wird. Ein Grund dafür sind sogenannte Sensibilisierungsprozesse. Das bedeutet, dass man möglicherweise mehr Schmerz verspürt, obwohl man mitunter weniger starken Reizen ausgesetzt ist. Dabei handelt es sich um hochkomplexe Vorgänge, deren komplette Klärung immer noch Gegenstand aktueller Forschung ist. Dass es zu solchen Sensibilisierungsprozessen kommt, scheint unterschiedliche Gründe zu haben. Psychologische Faktoren wie Angst und Depression spielen ebenso eine Rolle wie unser Immunsystem und die Zeitspanne, über die der Schmerz besteht.
Der Akutfall
PhysiotherapeutInnen wird die Aufgabe zuteil, im Rahmen eines sogenannten Clinical-Reasoning-Prozesses gefährliche Pathologien, sogenannte Red-Flags, zu erkennen und im besten Fall auszuschließen. Wenn Schmerzen schon lange bestehen, ist es wesentlich, mittels des biopsychosozialen Denkmodells die jeweilige Dominanz der Teilbereiche zu beurteilen. Menschen mit anhaltenden Schmerzsyndromen – zu den häufigsten zählt der chronische Rückenschmerz – weisen oft psychosoziale Faktoren auf. Diese können Schmerz ungünstig aufrechterhalten, wodurch seine bereits erwähnte eigentliche Aufgabe – die der Warnung – nicht mehr gegeben ist.
Wie helfen PhysiotherapeutInnen im Akutfall? Schmerzlindernde Maßnahmen kommen ebenso zum Tragen wie eine an die jeweilige Wundheilung angepasste körperliche Aktivierung. Aktives Training und edukative Maßnahmen bilden bei anhaltenden Problemen den Schwerpunkt. Dass eine passive Intervention – zum Beispiel manuelle Therapie oder die Behandlung verspannter Muskulatur – hilfreich sein kann, ist bekannt. Langfristig erfolgreich ist man allerdings nur, wenn der Patient stufenweise wieder Aktivitäten aufnimmt. Insgesamt ist es notwendig, solche Beschwerden mittels eines multimodalen Zugangs zu begleiten. Daher spielt die Kommunikation zwischen den behandelnden ÄrztInnen, PhysiotherapeutInnen und PsychologInnen eine wesentliche Rolle.