Selbstständig und selbstbestimmt leben bis zum Schluss – das wünscht sich wohl jeder. Doch das Festhalten an den eigenen vier Wänden bringt vielen Senioren schlussendlich auch Isolation und Einsamkeit. Es lohnt, rechtzeitig über betreutes Wohnen in einer Gemeinschaft nachzudenken.
Mein Haus. Mitten in einer Grossstadt. 20 Mietparteien wohnen darin. Als ich vor 17 Jahren mit Mann und Babybauch einzog, gab es hier den alten Herrn K., seit Ewigkeiten Witwer, die alte Frau W., eine alleinstehende Frau mit Hund, und das alte Ehepaar B., über 60 Jahre verheiratet und stets mit Hut und Stock unterwegs. Herrn K. traf ich allmorgendlich im Treppen- haus, wenn er sein Brötchen und Zeitungen kaufen ging. Nach dem Mittagsschläfchen drehte er bei jedem Wetter seine Runde zum Füssevertreten. Danach konnte ich, im Homeoffice arbeitend, die Uhr stellen. Für die alte Frau W. putzte ich und kaufte ein. Dafür gab’s Schokolade oder einen Schein. Ihren Hund trug ich, nach einem Hilferuf, sterbend hinauf in die Wohnung, mein Mann fuhr ihn, schon tot, noch zum Veterinär.
Leben und Tod unter einem Dach
Das Ehepaar B. über mir schloss uns und unser Baby ins Herz, wir trafen uns zu vergnüglichen Kaffeekränzchen. Als Baby Nummer zwei unterwegs war, erlitt Herr B. einen Herzinfarkt. Seine Frau lud uns am Telefon ein, den bei ihrem überstürzten Umzug ins Pflegeheim nicht mitgenommenen Hausrat zu sichten und zu nehmen, was uns gefiel. Der Kronleuchter aus der guten Stube strahlt bis heute bei uns. Kurz darauf starben beide innerhalb weniger Tage. Frau W. lebte nach dem Tod ihres Hündchens nie mehr richtig auf. Sie hatte keinen Grund mehr rauszugehen. Eines Tages, wir waren im Urlaub, fiel sie unglücklich und musste ins Spital. Die Männer, die Wochen später ihre Einrichtung unbesehen zum Sperrmüll trugen, berichteten von ihrem einsamen Tod. Herr K. kam inzwischen kaum noch selbstständig die drei Treppen runter, irgendwann blieb er ganz in seiner Wohnung. Eines Nachts brach er sich ein Bein. Wenig später starb er im Spital. Allein.
Betreutes Wohnen macht Sinn
Die Schicksale meiner Nachbarn sind typisch für alte Menschen, besonders in grossen Städten. Typisch für Alte, die bis zum Schluss selbstständig und selbstbestimmt zu Hause wohnen wollen. Verständlicherweise. Dennoch: Mich hat ihre Vereinsamung, ihr sang- und klangloses Verschwinden bewogen, mich schon heute, rein statistisch mitten im Leben, zu fragen, wie ich im Alter wohnen möchte. Betreutes Wohnen macht für mich Sinn: Ich lebe mit anderen in einem altersgerechten Haus, finde Gesellschaft und Betreuung unter einem Dach. Ich wohne in meinen vier Wänden und entscheide bis zum Schluss selbst. Ich bin nicht einsam zu Hause. Mitten in der Grossstadt mit Millionen Menschen.