Darmkrebs ist der Inbegriff des Wortes VERMEIDBAR. Umso blöder ist es, dass mensch sich gerne für ihn schämt. Ein Text über die Gelassenheit der Darmkrebsvorsorge.
Martina Hagspiel
Patient Advocate, Herausgeberin & Chefredakteurin Kurvenkratzer
Ein künstlicher Darmausgang, Blut im Stuhl oder verringerte Potenz sind nicht gerade Dinge, die Menschen beiläufig bei einem feinen Dinner besprechen; und auch sonst nicht, denn der olle Darmkrebs ist tatsächlich noch immer stark mit Scham und Hemmungen verbunden. Dabei kann er fast vollständig vermieden werden. Mehr als bei jeder anderen Krebsart versteht die Medizin die Prozesse hinter seiner Entstehung. Das heißt: Trauen wir uns regelmäßig zur Untersuchung bzw. Früherkennung, wird es um einiges unwahrscheinlicher, dass sich ein bösartiger Tumor entwickelt, auch wenn Potenzial dagewesen wäre.
Wer das weiß, klatscht sich gerne mal die Hand auf die Stirn wenn er:sie hört, dass Darmkrebs nach wie vor die zweithäufigste Krebsart in Deutschland ist. Pro Jahr erkranken über 70.000 Menschen und rund 30.000 sterben –und das nur, weil keine:r Lust auf eine harmlose Darmspiegelung hat. Etliche Mythen ranken sich wie giftiger Efeu um die mittlerweile völlig unspektakuläre und kaum spürbare Koloskopie. Deshalb sind wir hier, um aufzuräumen. Unsere Meinung: Darmkrebs ist überflüssig und du hast die Macht. Darmkrebs 101 oder auf Deutsch: Das kleine Einmaleins.
Das Wichtigste vorweg: Darmkrebstumoren wachsen langsam und können früh erkannt werden. Die kleinen Ausstülpungen (Polypen), die auf Darmkrebs hinweisen, sind lange friedlich und verursachen absolut keine Beschwerden. Aber es ist wichtig, sie früh zu entdecken und ganz gemütlich zu entfernen, weil sie andernfalls später zu bösartigen Karzinomen werden und entweder metastasieren oder an Ort und Stelle Unfug treiben.
Wie bei anderen Krebsarten auch, gibt es viele Variablen, die zur Entstehung von Darmkrebs beitragen können: ein ungesunder Lifestyle, Alter und allen voran die Genetik.
Was ist mit „ungesund“ gemeint? Die Klassiker: Rauchen, Übergewicht, Bewegungsmangel und eine einseitige Ernährung mit wenig Ballaststoffen, viel Alkohol und viel rotem und verarbeitetem Fleisch. Ihr wisst Bescheid. Wer Darmkrebs darüber hinaus in der unmittelbaren Familie herumgeistern sieht, sollte sich besser überprüfen lassen. Das Erkrankungsrisiko ist dann nämlich zwei- bis dreimal so hoch. Ein ganz natürlicher Risikofaktor ist schlussendlich das Alter: Zunehmend verliert der Körper die Fähigkeit, Fehler in den Zellen zu reparieren. Deswegen schalten sich ab 50 Jahren bei der Früherkennung auch die Krankenkassen ein, für Vorbelastete empfiehlt sich die Routineuntersuchung aber bereits ab 30.
Mythbusting Darmkrebs-Edition
Der eigentliche Jammer bei der Früherkennung ist definitiv der Mangel an Bewusstsein oder Verständnis für die Bedeutung des kolorektalen Screenings (die unbeliebte Darmspiegelung).Dies führt zu einer verzögerten oder späten Diagnose, die sich hätte vermeiden lassen … können … oder sollen … oder müssen.
Der Mythos, dass eine Darmspiegelung schmerzhaft, aufwendig oder peinlich ist, ist heutzutage komplett unbegründet. Und deswegen hier unser Appell: Geh zur Ärztin oder Arzt und bring’s hinter dich! Dann hast du eine Zeit lang Ruhe bzw. die Gewissheit, dass dir (vorerst) garantiert kein blöder Darmkrebs innewohnt. Ausreden gibt es daher keine.
Und so läuft eine Untersuchung ab: Du suchst dir vertrauenswürdiges fachärztliches Personal, also eine:n Magen-Darm-Ärztin oder- Arzt bzw. Gastroenterolg:in. Eine Woche vor der Untersuchung solltest du auf Schonkost umstellen. Ab Mittag des Vortages sollte nichts mehr gegessen werden und es gilt den Darm zu reinigen, damit die Schleimhaut des Dickdarms gut eingesehen und zuverlässig beurteilt werden kann. Typischerweise nimmt man hierfür das verschriebene Abführmittel, meist in Form einer Trinklösung, und ein paar Stunden Zeit. Und schon kann es los gehen. Am nächsten Tag liegst du dann zirka 20 Minuten lang entspannt und zugedeckt auf einer Liege. Solltest du nicht ganz so entspannt sein, bekommst du auf Wunsch eine Kurzschlafspritze (keine Vollnarkose!). Ein kurzer, leichter Schlaf betäubt dich, während sich die ärztliche Person deinen Auspuff vornimmt und du nichts, aber auch wirklich gar nichts, davon merkst. Ein Koloskop bestehend aus Schlauch, Kamera und Gleitgel folgt den Windungen deines Dickdarms problemlos. Die Kamerabilder zeigen auf einem Monitor ob die Schleimhaut gesund aussieht. Wenn sich irgend wo tumorverdächtige Bereiche finden kann eine Gewebeprobe gleich entnommen werden. Ehe du dich versiehst, fragst du: „Wann geht’s denn los?”.
Die Ärztin oder der Arzt wird dich dann angrinsen und sagen: „Es ist schon vorbei.“ Einziger Disclaimer: Nach einer Kurzschlafspritze bitte nicht mit dem Auto fahren! Sehr selten kann bei der Darmspiegelung die Darmwand leicht verletzt werden. Unkomplizierter sind da immunologische Stuhltests, die nach okkultem (klingt mystisch, bedeutet aber nur „nicht sichtbar“) Blut im Stuhl suchen. Der Grund: Ein Tumor im Darm blutet häufiger als die gesunde Darmschleimhaut. Diese Stuhltests haben eine geringe Fehlerquote, da sie selbst kleinste Blutmengen entdecken und zuhause einfach anzuwenden sind.
Liebe Darmspiegelung-Verweigerinnen und -Verweigerer: Gönnt euch eine Früherkennung! Lasst euch nicht verunsichern von den zwei Litern, die ihr vorher zum Abführen trinken müsst. Das ist doch wirklich ein Klacks gegen eine Krebstherapie.
Egal, wie du über Krebs sprichst:
Hauptsache du tust es.