Warum es so wichtig ist, bei Hörproblemen möglichst rasch ärztliche Hilfe aufzusuchen, erklärt Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Gstöttner, Präsident der Österreichischen HNO Gesellschaft, im Interview.
Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Gstöttner
Facharzt für HNO Krankheiten und Präsident der österreichischen HNO Gesellschaft
Hören ist für das tägliche Leben essenziell. Was kann passieren, wenn das Sinnesorgan Ohr nicht richtig funktioniert?
Wir müssen hier zwischen Kindes-, Erwachsenen- und höherem Erwachsenenalter unterscheiden. Wenn bereits in der Kindheit eine höhergradige Schwerhörigkeit vorliegt, sind die Auswirkungen dramatisch, da Kinder nur über ihr Hörvermögen sprechen lernen. Da eine gesunde Sprachentwicklung zeitlich limitiert ist, muss eine entsprechende Behandlung also möglichst zeitnah zur Geburt beginnen. In einer kurzen, wenig aufwändigen Untersuchung erhalten wir über das Neugeborenen-Hörscreening Auskunft, ob grundsätzliches Hörvermögen vorhanden ist oder nicht. Das ist für den weiteren Weg des Kindes ganz entscheidend.
Welche Auswirkungen können Hörprobleme im Erwachsenenalter und höheren Alter haben?
Im höheren Alter ist die soziale Kommunikation für die Vorbeugung von Gehirnerkrankungen und Demenz entscheidend. Wenn höhergradig Schwerhörige nicht mehr kommunizieren können und sich isolieren, ist der Weg für eine Demenzentwicklung vorbereitet. Dies kann aber im vorliegenden Fall verhindert werden, wenn sie möglichst rasch ein Hörgerät oder Hörimplantat erhalten.
Bemerken Menschen sofort, wenn sie schlechter hören, oder ist diese Entwicklung eher schleichend?
Ein Hörsturz tritt plötzlich auf. Patient:innen merken das und kommen daher relativ schnell zu uns Ärzt:innen zur Behandlung. Bei schleichenden Entwicklungen verharmlosen viele Menschen zunächst ihre Probleme. Vor uns HNO-Ärzt:innen muss man sich aber nicht fürchten. Wir sehen nur ins Ohr und führen Hörtests durch, um Probleme abzuklären.
Bestehen Empfehlungen, ab welchem Alter man grundsätzlich zu HNO-Ärzt:innen gehen sollte?
Es wäre wünschenswert, wenn Patient:innen ab 50 Jahren gelegentlich einen Hörtest machen würden. Wenn jedoch bereits in der Familie Schwerhörigkeiten aufgetreten sind, ist es ratsam, schon in einem jüngeren Alter einen Hörtest durchführen zu lassen.
Könnten Sie kurz erklären, wie so ein Test funktioniert?
Wir haben unterschiedliche Arten von Hörtests. Zum einen können wir das Reintonhörvermögen prüfen. Hier messen wir tiefe und hohe Töne in unterschiedlichen Lautstärken. Zum anderen können wir mit Hilfe von Sprachtests feststellen, wann etwa ein Hörgerät benötigt wird.
Stichwort Hörgerät: Was können Patient:innen nun gegen Hörprobleme tun?
Zunächst müssen wir wissen, wie hochgradig die Schwerhörigkeit ist. Störungen im Mittelohr und im Gehörgang können wir medizinisch gut behandeln und reparieren. Liegen die Probleme aber im Innenohr, ist die Behandlung komplizierter, weil keine hörverbessernden Operationen durchgeführt werden können. Hier können wir aber Hörgeräte einsetzen, die als Verstärkeranlage Gesprochenes lauter hörbar machen. Bei einer mittelgradigen Schwerhörigkeit ist das eine gute Behandlungsmöglichkeit. Wenn es sich um eine hochgradige Schwerhörigkeit handelt, braucht es ein Cochlea-Implantat, das den Gehörnerv in Richtung Gehirn direkt simuliert.
Hier hat sich in den letzten Jahren bereits viel getan. Welche Entwicklungen dürfen wir in den nächsten Jahren erwarten?
Wir beginnen nun Cochlea-Implantate so zu implantieren, dass gar nichts mehr sichtbar sein wird. Das ist ein großer Durchbruch. Das große Ziel ist es, dass wir irgendwann Therapien anbieten können, mit denen sich das Ohr wieder von selbst regenerieren kann – auch, wenn das vielleicht noch ein halbes Jahrhundert dauern wird.