In den kommenden Jahrzehnten werden immer mehr Menschen an Diabetes erkranken. Stehen wir kurz vor einer Diabetes-Krise?
Dr. med. Adalbert Strasser
Wundchirurg und Präsident von „wir sind diabetes“ – Dachorganisation der Diabetes Selbsthilfe Österreich
Zwischen 500.000 und 800.000 Menschen mit Diabetes leben in
Österreich. Genauer wissen wir es nicht – was verwundern mag, entspricht
doch die Differenz in etwa der Einwohnerzahl von Innsbruck. Etwas
konkretere Informationen liefern die Krankenkassen, demnach hat die Zahl
der Personen mit Typ-2-Diabetes zwischen 2013 und 2016 um zehn Prozent
zugenommen; wir sprechen von rund 45.000 Menschen in drei Jahren. In den
kommenden Jahrzehnten werden Diabetese-Ekrankungen weiter ansteigen,
dafür sorgt allein schon die zunehmende Überalterung unserer
Gesellschaft. Es wird derzeit viel von der Klimakrise geredet. Ich
behaupte: Wir schlittern gerade sehenden Auges in die Diabetes-Krise.
Denn Hand auf’s Herz: Wer hat die Antwort auf die Frage, wie wir mit 1,2
oder 1,5 Millionen Menschen mit Diabetes in Österreich umgehen wollen?
Mehr Präventionsarbeit
Was heißt das nun? Wir müssen endlich ernstzunehmende Anstrengungen zur Prävention von Diabetes-Neuerkrankungen unternehmen. Und wir müssen Wege finden, die finanziellen und personellen Ressourcen im Gesundheitssystem so einzusetzen, dass wir den Herausforderungen in der Versorgung von immer mehr Menschen mit Diabetes gewachsen sind. Wir werden scheitern, wenn wir nicht viel besser darin werden, Spätkomplikationen zu verhindern, die mehr als die Hälfte der Kosten verursachen, die wir für Menschen mit Diabetes aufwenden. Die Trendwende, die sich bei der diabetischen Nierenerkrankung abzeichnet, ist ermutigend. In anderen Bereichen – und da spreche ich als Wundchirurg aus eigener leidvoller Erfahrung – bleibt noch immens viel zu tun!
Diabetes ist omnipräsent
Es wird auch Zeit anzuerkennen, dass Diabetes längst kein Randgruppenthema mehr ist. Diabetes ist heute schon in vielen Familien, Unternehmen und Organisationen präsent. Menschen mit Diabetes bewähren sich in Beruf und Alltag, sie zahlen Steuern und Versicherungsbeiträge, und die vieldiskutierten Kosten der Diabetesversorgung sind auch Teil der Wirtschaftsleistung dieses Landes.
Ja, Menschen mit Diabetes haben aufgrund ihrer Erkrankung besondere gesundheitliche Bedürfnisse. Als BürgerInnen und Versicherte empfangen kranke Menschen in diesem Land aber keine Almosen, sondern haben ein Anrecht auf die individuell erforderlichen Gesundheitsleistungen – es kann uns ja alle einmal treffen.