Dr.in Barbara Wagner
Präsidentin der AKTIVEN DIABETIKER AUSTRIA
Dr.in Barbara Wagner über ihren Umgang mit der Diagnose „Diabetes“.
Sie sind seit 40 Jahren selbst aktive Diabetikerin mit Typ-1-Diabetes. Wie würden Sie diese Reise bis jetzt zusammenfassen? Was waren Ihre wichtigsten Lehren daraus?
40 Jahre Diabetes sind eine lange Zeit, die erstaunlicherweise sehr schnell vergangen ist. Vor 40 Jahren – ich war eine junge Erwachsene, heute würde man „ältere Jugendliche“ sagen – war die Diagnose ein Schock für mich. Ich hatte jedoch das Glück, im Krankenhaus ein damals noch nicht verbreitetes einwöchiges Schulungsprogramm absolvieren zu können, und ging anschließend diabetesfit in mein Leben zurück. Dieses Leben war geprägt von einmal täglich spritzen, fixen Essenzeiten, fixen Essensmengen und einer großen Ungewissheit, was die Blutzuckereinstellung und die Zukunft betraf. Glücklicherweise entwickelte sich die Therapie nach wenigen Jahren weiter hin zur intensivierten Insulintherapie und zu den ersten Blutzuckermessgeräten. Es folgten auch kurz Phasen mit den Großmüttern der heutigen Insulinpumpen. Insgesamt ließ sich mein Blutzucker durch diese Maßnahmen nicht zufriedenstellend stabilisieren. Eine Verbesserung kam erst vor circa 20 Jahren mit einer modernen Insulinpumpe und vor etwa zehn Jahren mit der kontinuierlichen Glucosemessung. Sport, Bergtouren, Reisen und sonstige Dinge, die nicht tägliche Routine sind, wurden damit sehr viel einfacher und der Blutzucker wurde stabiler.
Die anfängliche Angst vor Begleiterkrankungen hat mich motiviert, trotz zermürbend instabiler Blutzuckerlage immer halbwegs gut auf meinen Diabetes zu achten. Immer habe ich versucht, ein ganz normales Leben zu führen, mit einer anspruchsvollen Berufstätigkeit, gelegentlichen Nebenjobs aus meinem „Hobby“ Kunstgeschichte, mit den bereits erwähnten Reisen und sportlichen Aktivitäten. Jedenfalls denke ich, dass mir der Diabetes zu einem gesünderen Leben verholfen hat. Was ich mir mit meinem unstabilen Diabetes versagt habe, sind Kinder; da habe ich mich nicht „drübergetraut“.
Wichtig ist – auch wenn Diabetes ein 24/7-Job ist –, dass wir keine „Diabetiker“ sind, sondern Menschen mit Diabetes. Wir definieren uns nicht über den Diabetes und jeder/jede von uns hat eine unterschiedliche Biografie, die halt Diabetes mit einschließt.
Selbsthilfe ist für viele Patient(inn)en eine sehr wichtige Stütze im Alltag. Gibt es – abseits von etwaigen „Klassikern“ – ungewöhnliche Themen, die immer wieder aufkommen?
Vor circa 25 Jahren habe ich begonnen, mich im Rahmen der „AKTIVEN DIABETIKER AUSTRIA“ zu engagieren, zuerst mit einer Gruppe in Wiener Neustadt, jetzt mit einer Gruppe für Menschen mit Diabetes Typ 1 in Wien und seit etwas mehr als einem Jahr als Präsidentin des Vereins.
Ungewöhnliche Themen gibt es bei den Gesprächen nicht wirklich. Was jedoch viel zu selten zum Thema gemacht wird, sind die Ängste vor der gesundheitlichen Zukunft, bei Jugendlichen die Sorge um die berufliche Zukunft, die Sorge, ob man einen Partner/eine Partnerin finden wird, und Ähnliches. Wir Menschen in den Gruppen können in diesem Zusammenhang nur versuchen, positive Testimonials zu sein und andere dadurch in ihrem eigenen Leben und ihren Entscheidungen zu ermutigen.
Rein vom Gefühl her: Wie unterscheidet sich Typ-1-Diabetes vom Typ 2? Gibt es da ein „besser“ oder „schlechter“?
Ein Mensch mit Diabetes Typ 1 denkt sich: „Oh, Gott sei Dank habe ich nicht Diabetes Typ 2, mit der notwendigen Lebensstiländerung, dem fettarmen Essen, den vielen Pillen, die man schlucken muss, und den leider häufig auftretenden Begleiterkrankungen.“ Und jemand mit Diabetes Typ 2 denkt sich: „Oh, Gott sei Dank habe ich nicht Diabetes Typ 1, mit dem ständigen Spritzen, Blutzuckermessen, Broteinheitenzählen.“ Es gibt kein „besser“ und „schlechter“; es handelt sich um zwei verschiedene Erkrankungen, die als Gemeinsamkeit insbesondere den erhöhten Blutzucker haben. Jeder/Jede sollte sich hüten, über die jeweils andere Gruppe negativ zu denken. Vor allem sollten wir Menschen mit Diabetes Typ 1 keinesfalls annehmen, dass Personen mit Diabetes Typ 2 „selber schuld“ – weil zu dick, zu undiszipliniert, zu bewegungsarm etc. – sind. Lebensstil ist oft erlernt und lässt sich nicht so leicht korrigieren, wie man das gerne hätte. Und auch wir Menschen mit Diabetes Typ 1 bleiben oft nicht lebenslang gertenschlank (lacht).
Was empfehlen Sie Eltern, deren Kind neu mit Typ-1-Diabetes diagnostiziert wird?
Als Kind oder als Jugendlicher/Jugendliche an Diabetes Typ 1 zu erkranken, ist sowohl für die Betroffenen als auch für ihre Eltern eine große Herausforderung. Ich kann allen Eltern empfehlen: Informieren Sie sich, suchen Sie Unterstützung und Austausch mit anderen Familien, haben Sie Vertrauen in die Fähigkeiten Ihres Kindes und versuchen Sie, Ihr Kind selbstständig werden zu lassen, so als hätte es keinen Diabetes. Scheuen Sie sich nicht, im Fall des Falles auch psychologische/psychotherapeutische Unterstützung für sich und Ihre Familie in Anspruch zu nehmen.
Sie möchten Sich weiter informieren?
Als Familie mit an Diabetes Typ 1 erkrankten Kindern finden Sie zum Beispiel Unterstützung bei: www.diabaer.at