Die Grande Dame Lotte Tobisch ist mit ihren 91 Jahren heute immer noch aktiv und heiter. Im Interview erzählt sie, warum sie jeden Tag Dankeschön sagt, nichts von Taubenfüttern im Park hält und sich ihrer Zeit sehr bewusst ist.
Prof. Lotte Tobisch-Labotýn
Schauspielerin des Burgtheaters i.R.
Wenn Sie auf die letzten 90 Jahre zurückblicken: Wie hat sich das „Älterwerden“ verändert?
Darüber habe ich mir nie den Kopf zerbrochen! Ich bin ein Mensch, der in der Gegenwart und Zukunft lebt. Die Vergangenheit betrachte ich wie ein Bild, manches ist schön gewesen, manches weniger – aber ich bereue nichts! Sich unentwegt zu sagen, was man denn nicht alles versäumt hat, macht gar keinen Sinn. Ich bin gegen diese Form der Sentimentalität.
Im Übrigen halte ich es mit dem wunderbaren Spruch von Voltaire: „Weil es der Gesundheit zuträglich ist, habe ich beschlossen, glücklich zu sein.“
Stichwort Gesundheit: Wie halten Sie sich körperlich und geistig so fit?
Ach, von außen schaut es besser aus als es ist! (lacht) Weil ich beschlossen habe, die Dinge positiv zu betrachten, geht es mir eigentlich sehr gut. Es ist zwar alles ein wenig reduziert – Materialermüdung sage ich immer – aber doch noch ganz brauchbar. Ich habe das Glück, dass mein Kopf noch so gut funktioniert. Das ist wirklich ein Geschenk des Himmels und dafür kann man nur jeden Tag Dankeschön sagen.
Ich bin ja unter anderem auch Ehrenpräsidentin der Österreichischen Alzheimergesellschaft. Leider wissen wir immer noch nicht, was wirklich hinter der Krankheit steckt, aber auf jeden Fall ist es gut, sich geistig zu beschäftigen. Es ist dem Kopf sicher nicht zuträglich, wenn man nur Tauben im Park füttert!
Als Präsidentin von Künstler helfen Künstlern betreuen Sie auch das Künstlerheim in Baden, das als stilvolles Altersheim dient. Warum ist Gemeinschaft im Alter so wichtig?
Ich habe mir viele Altersheime angesehen. Es ist doch erstaunlich, wie viele gute öffentliche Altersheime es gibt – trotz des hohen Arbeitsaufwandes. Das Künstlerheim in Baden ist aber ein Haus mit maximal 30 Personen und das Schöne ist, dass sie die Gemeinschaft, die Wahlverwandtschaft verbindet.
Es sind Künstler, Schauspieler, Sänger, Schriftsteller usw. dort und wir haben relativ viel Personal und einen Salon. Es ist hübsch und vielleicht ein bisschen altmodisch. Jeder, der ins Künstlerheim kommt und mich kennt, sagt sofort: Das ist wie die Wohnung der Lotte Tobisch!
Sie wohnen hier am Opernring aber auch in einem sehr prachtvollen Ambiente!
Hier? Nein! Ich nenne es immer meine Ramschbude! (lacht) Sie können die größten Scheußlichkeiten neben den schönsten Dingen finde. Ich leide ein wenig darunter, dass ich Dinge, die mir liebevoll gebracht wurden, nicht wegschmeißen kann!
Meine Generation, also alle die wirklich so uralt sind wie ich, hat noch eine Ahnung davon, was Mangel, Armut und Einschränkung bedeutet. Ich komme zwar aus einem sehr begüterten Haus, aber wurde dennoch mit Disziplin und Sparsamkeit erzogen. So etwas wie die heutige Wegwerfgesellschaft ist mir fremd.
Wie gehen Sie mit der selektiven und vielleicht auch verklärenden Wahrnehmung der Vergangenheit um? War früher wirklich alles besser?
Nein, auf gar keinen Fall! Ich glaube, die Welt war nie besser, sie war nur anders! In meiner Jugend waren die Wünsche und Träume doch wesentlich andere als heute. Natürlich verstehe ich manches nur schwer, aber man muss sagen, dass es halt einfach so ist. Als der alte Kreisky einmal bei einem Opernballbesuch gefragt wurde, ob es denn nicht unmöglich sei, dass sein Sohn unentwegt gegen den Ball demonstriert, hat er geantwortet: „Ach schauen Sie, mein Vater hat mit mir auch keine Freude gehabt!“
Von den Kreisky-Jahren noch einmal ins Jahr 2017. Inwiefern würden Sie sagen, dass Sie sich im Vergleich zu früher verändert haben?
Ich hoffe, dass ich mich verändert habe! Es wäre ganz schön traurig, wenn ich noch genauso deppert wäre, wie mit 20! (lacht) Dennoch bin ich mir treu geblieben und habe mich nie darum gekümmert, ob „man“ etwas tun muss oder nicht. Ich habe vieles gemacht, was vielleicht zu einer anderen Zeit nicht möglich gewesen wäre.
Ich habe zum Beispiel immer gern organisiert – auch den Opernball, obwohl ich ihm nie mit meinem Herzen nahe stand. Der Kontrast jetzt zum Künstlerheim ist nicht unkomisch. Aber ich habe das mit einer gewissen Absicht gemacht. Mir bereitet es Freude, ich bin uralt und habe ja sonst nix zu tun. (lacht) Oft werde ich gefragt, was meine Pläne sind.
Wenn man so alt ist wie ich, ist man sich seiner Zeit bewusst. Ich weiß, was ich heute und was ich morgen machen werde. Aber übermorgen? Mal abwarten.