Priv.-Doz. Dr. med. Stefan Leis, MME
Leitender Oberarzt Ambulanz für Migräne und Schmerz, Universitätsklinik für Neurologie, PMU Salzburg Sekretär der Österreichischen Kopfschmerzgesellschaft
Migränekopfschmerzen werden vom Umfeld häufig nicht als Krankheit akzeptiert, sondern als einfache Kopfschmerzen oder sogar als Ausrede abgetan. Es gilt, das gesellschaftliche Bewusstsein für die Krankheit zu schärfen.
Was ist Migräne eigentlich? Woher kommt der Schmerz im Kopf, welche Auslöser können dahinterstecken?
Migräne ist ein wiederkehrender Kopfschmerz von mittelstarker bis starker Intensität mit typischer Charakteristik. Er tritt häufig halbseitig auf, ist meistens pochend-pulsierend und nimmt bei körperlicher Aktivität zu. In der Regel hält er vier bis 72 Stunden lang an. Begleitet werden diese Kopfschmerzen von Übelkeit und Erbrechen sowie Lärm- oder Lichtempfindlichkeit, die Betroffenen haben häufig ein ausgeprägtes Ruhe- und Rückzugsbedürfnis.
Die Beeinträchtigung für die Betroffenen im Hinblick auf berufliche und soziale Aktivitäten ist enorm.
Frauen sind etwa dreimal so häufig betroffen wie Männer. Die genaue Ursache ist aber nach wie vor nicht vollständig geklärt, grundsätzlich geht man von einer erblichen Veranlagung und einer erhöhten Erregbarkeit des Gehirns bei Migränepatienten aus. Bei manchen Patientinnen und Patienten können als mögliche Auslöser auch Stress und Anspannung oder ein unregelmäßiger Schlafrhythmus eine Rolle spielen.
Was bedeutet Aura im Zusammenhang mit Migräne?
Etwa bei jeder oder jedem zehnten Betroffenen entwickeln sich circa 20 bis 30 Minuten vor den eigentlichen Kopfschmerzen neurologische Phänomene, die bis zu 60 Minuten anhalten können – die sogenannte Aura. Typischerweise sind dies Sehstörungen wie Flimmern oder farbige, gezackte Figuren, die durch das Gesichtsfeld wandern. Je nachdem in welcher Gehirnregion die dafür verantwortliche sich „kortikal ausbreiten- de Depression“ abläuft, können aber auch andere Symptome wie Sprachstörungen, halbseitige Gefühlsstörungen oder sogar Lähmungen auftreten, die sich in der Regel langsam über Minuten ausbreiten.
Welche unterschiedlichen Arten von Migräne gibt es, und worin bestehen die Unterschiede?
Die wichtigste Unterscheidung ist die der Migräne ohne und mit Aura. Außerdem wird nach der Häufigkeit der Attacken die episodische Migräne mit weniger als 15 Kopfschmerztagen pro Monat von der chronischen Migräne mit 15 und mehr Kopfschmerztagen unterschieden. Bei einem Teil der Patienten mit chronischer Migräne besteht außerdem ein Medikamentenübergebrauchskopfschmerz. Dabei unterhalten die Schmerzmittel, die eigentlich gegen die Kopfschmerzen eingenommen werden, paradoxerweise selbst wieder den Kopf- schmerz, wenn man sie zu häufig (an mehr als zehn bis 15 Tagen pro Monat) einnimmt.
Was ist die wichtigste Botschaft, die die ÖKSG vermitteln möchte? Gibt es Dinge – auch im Hinblick auf Behandlung und Therapie –, die beim nächsten Arztbesuch besprochen werden sollten?
Die Behandlung der Migräne fußt immer auf mehreren Säulen. Ganz besonders wichtig ist dabei die nicht-medikamentöse Vorbeugung: Ausdauersport, Biofeedback oder Entspannungsverfahren können jeder Patientin und jedem Patienten empfohlen werden! Auch Lebensstiländerungen, die zu einem geregelten Tagesablauf mit ausreichend Bewegung und Entspannung führen, sind hilfreich.
In der medikamentösen Behandlung wer- den die Akuttherapie zur Behandlung der einzelnen Migräneattacken und die vorbeu- gende Behandlung mit regelmäßig einzu- nehmenden Medikamenten unterschieden.
Beides ist individuell mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt zu besprechen.
Gibt es Anzeichen, anhand derer man die nächste Episode erkennen kann? Wie kann man diese dann verhindern oder zumindest abschwächen?
Bei etwa einem Drittel der Patienten äußern sich bereits Stunden bis Tage vor einer Migräneattacke Vorboten wie Stimmungsänderungen, Gereiztheit, Konzentrationsstörungen, Müdigkeit, Heißhunger, vermehrtes Gähnen oder vermehrter Harndrang.
Durch Entspannungsverfahren oder andere Verhaltensmaßnahmen gelingt es manchen Betroffenen dann noch, die drohende Migräneattacke abzuwenden. Ansonsten gilt für die Behandlung der Migräneattacke prinzipiell, dass die Schmerzmittel möglichst frühzeitig und in ausreichender Dosis eingenommen werden sollen und nicht erst bei Erreichen des Kopfschmerzhöhepunktes. Auch um einer zu häufigen Einnahme von Schmerzmitteln vorzubeugen, sollte jedoch bei sehr häufigen Attacken eine Fachärztin oder ein Facharzt für Neurologie aufgesucht werden, damit eine vorbeugende Therapie begonnen wird.
Wie bewerten Sie die gesellschaftliche Akzeptanz von Migräne? Was muss geschehen, damit die Krankheit endlich als solche akzeptiert wird?
Tatsächlich werden Migränekopfschmerzen vom Umfeld häufig nicht als Krankheit akzeptiert, sondern als einfache Kopfschmerzen oder sogar als Ausrede abgetan. Die Beeinträchtigung für die Betroffenen im Hinblick auf berufliche und soziale Aktivitäten ist aber enorm. Auch die sozioökonomischen Folgen durch Arbeitsausfälle oder Produktivitätsverlust sind beachtlich. Insofern gilt es, das Bewusstsein für diese „Volkskrankheit“ durch kontinuierliche Aufklärung nicht nur bei den behandelnden Ärzten, sondern auch in der Gesellschaft zu schärfen.