Patientinnen erleben die Diagnose „Brustkrebs“ oft als Sturz aus der Realität, als Lebenskrise und Kontrollverlust. Warum, erklärt der Neurologe und Psychoonkologe Markus Hutterer.
OA PD Dr. Markus Hutterer
Neurologe und Psychoonkologe – Konventhospital Barmherzige Brüder Linz, Abteilung für Neurologie mit Akutgeriatrie bzw. Österreichische Gesellschaft für Psychoonkologie (ÖGPO)
Welche Wege, mit einer Krebsdiagnose umzugehen, gibt es?
Wird der Begriff „Krebs“ ausgesprochen, ist oft die erste Assoziation „Tod und Sterben“. Dieses intensive Gefühl einer plötzlichen und realen Bedrohung des eigenen Lebens kann zur ausgeprägten Not führen. Die Diagnose ist ein kritischer Zeitpunkt für die Patientin selbst und ihren weiteren Krankheitsverlauf. In diesem Schockzustand kommt es häufig zu Benommenheit, Ungläubigkeit, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Angst – Denken, Sprechen und Merken fallen unglaublich schwer. Dabei kann die Anwesenheit einer Vertrauensperson für die Patientin emotional sehr entlastend und stabilisierend sein, aber auch Nachgespräche erleichtern. Dieser Zustand kann bis zu zehn Tage andauern. Um der Entwicklung psychischer Erkrankungen vorzubeugen und als Unterstützung in einer solchen Lebenskrise braucht es klärende – entlastende – Gespräche mit dem behandelnden Team, insbesondere durch die Psychoonkologie. Etwa 20–40 % aller Krebspatient:innen erleben durch die Erkrankung ausgeprägte psychische Belastungen wie Angst- und Schuldgefühle oder eine Depression. Werden diese nicht erkannt und behandelt, beeinflussen sie nicht nur den Krankheitsverlauf negativ, sondern auch das körperliche sowie seelische Wohlbefinden und damit die Beziehung zu uns nahestehenden vertrauten Menschen.
Wie geht es weiter, wenn Patientinnen die Diagnose akzeptiert haben?
Das erste Gefühl ist oft: Ich will überleben! Mit dieser Emotion kommen aber noch viele andere zum Vorschein: Angst vor der Erkrankung, den körperlichen Symptomen wie Schmerzen, aber auch vor dem Tod und Sterben, Sorgen um Partner:in, Familie und Beruf, Scham und Schuld- bzw. Verlustgefühle oder Zukunftsängste. Viele Patientinnen erleben auch einen Kontrollverlust: Sie können sich nicht mehr auf ihren Körper verlassen, denken sie. Verstärkt können diese Gefühle durch die fremdbestimmten diagnostischen und therapeutischen Prozesse werden: „die Patientin als Passagierin ihrer Erkrankung“. In dieser Krankheitsphase ist das Vermitteln von Fachinformationen sehr wichtig.
Deshalb sollte die Patientin mit Empathie in ihrem subjektiven Erleben der Erkrankung –mit Ideen, Sorgen, Ängsten und Erwartungen – abgeholt werden. Dafür werden einerseits körperliche, seelische und soziale Belastungsfaktoren, und andererseits auch individuelle Stärken, Ressourcen und Resilienzfaktoren zur Bewältigung gemeinsam identifiziert. So können im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe mittelfristig Strategien zur selbständigen Bewältigung der Lebenssituation erarbeitet werden. Die Krebsdiagnose als Teil des Lebens zu akzeptieren ist für die meisten Betroffenen recht schwierig. Die Erkrankung „annehmen zu lernen“ und optimistisch in die Zukunft zu blicken – das gelingt häufig besser. Das ist die Basis dafür, wieder ins aktive Handeln zu kommen und die Kontrolle über das eigene Leben wiederzuerlangen. Dafür ist auch notwendig, lösungsorientiert zu denken und sich Ziele zu setzen, die realistisch erreichbar sind. Aber Achtung: Wenn Erwartungen und Realität bzw. Möglichkeiten zu weit auseinanderklaffen, dann sind Unzufriedenheit und Stress unvermeidbar.
Welche Veränderungen des Körperbildes gehen mit der Therapie einher?
Die weibliche Brust gilt als Sinnbild der Weiblichkeit, Fruchtbarkeit und Mütterlichkeit. Sie nimmt daher bei vielen Frauen einen entscheidenden Stellenwert in ihrem Körperbild ein. Wenn bei der Diagnose „Brustkrebs“ operiert wird, erfolgt nach Möglichkeit eine brusterhaltende Entfernung des Tumors. Im Falle einer Brustamputation wird diese meist mit einer Brustrekonstruktion kombiniert. Beide OP-Techniken sind daher für die Erhaltung des eigenen Körperbilds sehr hilfreich. Die Eingriffe hinterlassen aber auch Narben. Diese bleiben bestehen und können immer wieder belastende Erinnerungen an die Erfahrung „Krebserkrankung“ hervorrufen.
Auch die körperlichen Folgen einer Chemotherapie wie Gesichtsblässe, Haarausfall, ungewollter Gewichtsverlust und Veränderung des Körpergeruchs beeinflussen das Körperbild oftmals negativ. Häufig werden diese von Fatigue begleitet, ein ausgeprägtes Müdigkeits- und Erschöpfungsgefühl, das nicht nur rein körperlich ist, sondern sich auch kognitiv – Aufmerksamkeit, Konzentration, Gedächtnisleistung, Denken, Sprechen – äußert. Es gibt also eine Vielzahl von Auswirkungen, die unzählige Lebensbereiche betreffen: Leistungsfähigkeit im Alltag, Freizeit und Beruf, aber auch Partnerschaft und damit Intimität und Sexualität. Gerade Patientinnen, die stark auf ihr Körperbild fokussiert sind und hohe Ansprüche an ihre eigene Leistungsfähigkeit stellen, fühlen sich oftmals durch die Symptome stark eingeschränkt und belastet.
Was bedeutet die Erkrankung für die Partnerschaft?
Eine Partnerschaft muss sich in Lebenskrisen ganz besonders bewähren und stellt gleichzeitig einen wichtigen Unterstützungsfaktor dar. Auch, wenn die Diagnose „Brustkrebs“ die Frau ereilt hat, der/die Partner:in ist ebenso von der Erkrankung betroffen – und spürt die gleiche Angst, Verzweiflung und Ohnmacht. Das heißt, auch die Lebenswirklichkeit, die Aufgaben und das Rollenbild der anderen Person ändern sich fundamental. Zudem kann ein verändertes Körperbild der Patientin sehr scham- und angstbesetzt sein und zu einem reduzierten Selbstwertgefühl führen. Das hat meist auch einen starken Einfluss auf Intimität und Sexualität. Gerade Berührungen sind dabei zentral und können mit vielen Missverständnissen verbunden sein. Partner:innen befürchten, der Patientin weh zu tun, was meist nicht der Fall ist. Umgekehrt können manche Berührungen als Folge von Krebstherapien, etwa bei OP-Narben, tatsächlich Schmerzen auslösen. Hier spielt eine offene und empathische Kommunikation in der Partnerschaft mit gegenseitigem Austausch über Probleme und Belastungen, aber auch ein gemeinsames Erarbeiten von Lösungen und Zielen, eine entscheidende Rolle. Durch die insgesamt sehr belastende Situation aller Betroffenen gelingt diese Kommunikation teilweise aber nicht (gut). Es kommt zu gegenseitigem Unverständnis. Hier kann die Psychoonkologie mittels „Psychoedukation“ sehr gut weiterhelfen, denn es braucht klare Informationen über die Erkrankung und deren Auswirkungen, damit Angehörige das Verhalten der Patientin richtig einordnen und verstehen können. Zudem sollten Probleme, Belastungen und Bedürfnisse – und die damit einhergehenden Gefühle – aller beteiligten Personen angesprochen werden. Voraussetzungen dafür sind gegenseitige Ehrlichkeit und Mut, Dinge anzusprechen – auch gemeinsamen Kindern gegenüber.
Was würden Sie Patientinnen mit auf den Weg geben?
Eine Krebsdiagnose ist eine Lebenskrise und führt häufig zu verschiedenen körperlichen, seelischen und sozialen Belastungen und Bedürfnissen. In dieser schwierigen Situation ist es daher essenziell, sich die eigenen Stärken, Ressourcen und Resilienzfaktoren bewusstzumachen, um die Erkrankung gut zu meistern und die Lebensqualität zu steigern. Gerade am Anfang einer Erkrankung oder bei Rückschlägen kann es schwierig sein, diese Grundpfeiler der Krankheitsbewältigung zu sehen und umzusetzen. In diesen Situationen kann eine vertrauensvolle psychoonkologische Begleitung mit Entlastung und Erarbeitung von Lösungs- und Unterstützungsmöglichkeiten sehr wichtig sein. Und vergessen Sie dabei nicht, sich die Frage zu stellen: „Was kann ich für mich selbst Gutes tun?“