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Der Neurologe Michael Saletu und der Psychiater Omid Amouzadeh-Ghadikolai stellen die chronische Schlaflosigkeit (Insomnie) als eigenständige Erkrankung vor und erklären, wie sie diagnostiziert wird. Zudem informieren die beiden Schlafmediziner darüber, welche bewährten und innovativen Therapien gegen krankhafte Schlafprobleme helfen und was Betroffene selbst tun können. 

Priv. Doz. Dr. med. Michael Saletu

Neurologe und Schlafmediziner, Bereichsleiter Schlafmedizin am LKH Graz II, Standort Süd, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Schlafmedizin (ÖGSM)

Mag. phil. Dr. med. Omid Amouzadeh-Ghadikolai

Philosoph, Psychiater und Schlafmediziner, GFSG Gesellschaft zur Förderung seelischer Gesundheit GmbH, Beirat Psychiatrie der ÖGSM

Dr. Saletu, Bereichsleiter Schlafmedizin am LKH Graz II, Standort Süd, und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Schlafmedizin (ÖGSM):
Die eine Hälfte der Österreicher:innen schläft unseres Wissens nach gut. Die andere Hälfte klagt über gelegentliche Schlafstörungen – etwa zehn Prozent der Bevölkerung hierzulande leiden sogar an einer krankhaften Schlaflosigkeit: der chronischen Insomnie, die man als Volkskrankheit bezeichnen könnte.

Gibt es Risikogruppen für chronische Schlaflosigkeit?

Dr. Saletu: Als Risikofaktoren gelten höheres Alter, chronische Schmerzen und andere chronische Krankheiten, Immobilität (schlimmstenfalls Bettlägerigkeit) und damit oft verbunden ein mangelnder Kontakt mit natürlichem Licht sowie das weibliche Geschlecht.

Warum ist Schlaflosigkeit nicht nur für die Betroffenen, sondern gesamtgesellschaftlich problematisch?

Dr. Saletu: Schlechter Schlaf erhöht auf Dauer das Risko für Herz-Kreislauferkrankungen, Fettleibigkeit (Adipositas) und Depressionen. Betroffene neigen erfahrungsgemäß zu höherem Alkoholkonsum und haben insgesamt eine geringere Lebenserwartung. 
Chronische Schlaflosigkeit ist hierzulande ein Hauptgrund dafür, dass Menschen nicht zur Arbeit gehen – 11 bis 18 Krankheitstage und ein jährlicher Verlust am Brutto-Inlands-Produkt (BIP) von 8.765 Euro pro Einwohner gehen auf ihr Konto.  

Wie unterscheiden Sie gelegentliche Ein- und Durchschlafstörungen von krankhafter Schlaflosigkeit?

Dr. Saletu: Gemäß den Leitlinien der internationalen Fachgesellschaften für Schlafmedizin liegt eine krankhafte Schlafstörung dann vor, wenn man einerseits an mindestens drei Tagen der Woche über mindestens drei Monate hinweg Probleme beim Ein- und/oder Durchschlafen hat und/oder zu früh aufwacht und andererseits der schlechte Schlaf die Tagesbefindlichkeit und -leistung beeinträchtigt. 

Dr. med. Omid Amouzadeh-Ghadikolai, GFSG Gesellschaft zur Förderung seelischer Gesundheit GmbH, Beirat Psychiatrie der ÖGSM: Wichtig für die Diagnose ist zudem die Eigenbeobachtung der Patient:innen. Es hilft, kurzfristig, also über circa zwei Wochen, ein Schlaftagebuch zu führen – insbesondere dann, wenn man häufiger als nur gelegentlich das Gefühl hat, schlecht zu schlafen, und dafür auch keinen konkreten Grund angeben kann (übermäßiger Stress in Familie und/oder Job, Lifestyle, der den gewohnten Tag-Nacht-Rhythmus durcheinanderbringt). Beim Tracken des eigenen Schlafverhaltens können auch moderne digitale Gadgets sinnvoll unterstützen. 

Gibt es einen Leitfaden zur Orientierung, um die Diagnose Insomnie sicherzustellen?

Dr. Amouzadeh-Ghadikolai: In einer interdisziplinär zusammengesetzten Taskforce der ÖGSM haben wir die ALiBABA-Checkliste entwickelt. Dabei handelt es sich um einen einfach anzuwendenden Interviewleitfaden, der die wesentlichen Merkmale einer chronischen Insomnie abfragt und eine Schweregradbestimmung ermöglicht: Einschlafstörung, Durchschlafstörung, frühmorgendliches Erwachen, nicht erholsamer Schlaf. Erfasst werden zudem die typischen Liegezeiten im Bett, die bei Schlafgestörten oft von den tatsächlichen Schlafzeiten abweichen, sowie die Befindlichkeit am Tage. Darüber hinaus fragt die Checkliste nach Anzeichen, die auch auf andere Gesundheitsprobleme hinweisen können, um diese als Ursache auszuschließen (sogenannte Differenzialdiagnostik). 

Was bringt die ALiBABA-Checkliste an Vorteilen?

Dr. Amouzadeh-Ghadikolai: Die ALiBABA-Checkliste bringt 4 große Vorteile:

  1. Strukturierte Herangehensweise: Sie hilft dabei, die Diagnose und Behandlung von Insomnie systematisch und strukturiert anzugehen.
  2. Patient:innenbeteiligung: Mit dem Selbstbeurteilungsteil können Patient:innen aktiv in ihre Behandlung eingebunden werden, was zu höherer Motivation und besseren Behandlungsergebnissen führen kann.
  3. Verlaufsbeobachtung: Die regelmäßige Anwendung des ISI ermöglicht es, den Behandlungserfolg zu überwachen und Anpassungen vorzunehmen.
  4. Interdisziplinäre Zusammenarbeit: Die Checkliste fördert die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen medizinischen Fachrichtungen und stellt sicher, dass alle Aspekte der Insomnie berücksichtigt werden.

Was sind typische Ursachen für Schlafstörungen?

Dr. Saletu: Das Wort Schlafstörung gilt für uns eigentlich als Oberbegriff für sechs Hauptgruppen:  Schlaflosigkeit (Insomnie), schlafbezogene Atmungsstörung (Schlafapnoe), Tagesschläfrigkeit hirnorganischer Ursache (Hypersomnolenzstörungen), Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen (zum Beispiel wegen Schichtarbeit), Aufwachstörungen (zum Beispiel Schlafwandeln) und nächtliche Bewegungsstörungen (zum Beispiel Ruhelose Beine).  

Wie behandeln Sie die chronische Insomnie?

Dr. Saletu: Die Schlafmedizin macht große Fortschritte. Im Zuge dessen liegt der Fokus aktuell auf individuell zugeschnittenen Behandlungen – zunächst vorzugsweise ohne den Einsatz von Medikamenten. Das Mittel der Wahl ist inzwischen eine kognitive Verhaltenstherapie für chronische Insomnie (Cognitive Behavioral Therapy for Insomnia, CBT-I). Machen die Patient:innen beherzt mit, sind die Veränderungen hin zum Positiven in den meisten Fällen rasch spürbar. 
Dr. Amouzadeh-Ghadikolai: Die CBT-I umfasst verschiedene Maßnahmen: Betroffene brauchen Aufklärung über den Schlaf (Psychoedukation). Des Weiteren werden Betroffene von uns dazu angehalten, ihre Schlafgewohnheiten zu hinterfragen und etwaige Störfaktoren auszuräumen (Schlafhygiene). Belegt ist auch, dass verschiedene Entspannungstechniken schlaffördernd wirken. Mithilfe einer passgenauen Bettliegezeitverkürzung lassen sich die Gelegenheiten fürs Schlafen beschränken. Das erhöht den Schlafdruck und trägt seinerseits zur Schlafregulierung bei. Angewöhnen sollten sich Betroffene, das Bett als reinen Schlafplatz zu nutzen (Stimuluskontrolle). Kognitive Techniken helfen den Betroffenen, ihrer gedankliche Erregung, die Schlaf verhindert, entgegenzuwirken.
Dr. Saletu: Sie sehen an diesem bunten Maßnahmenkatalog, dass die Betroffenen viel selbst tun können, um ihre Schlafstörung zu bekämpfen. Schlafstörungen sind kein Schicksal: Verlorengegangener guter Schlaf lässt sich zurückholen! 

Wie sieht es mit Schlafmitteln aus?

Dr. Saletu: Wir sprechen heute von Schlafmitteln, wenn es um die klassischen Hypnotika geht: Medikamente, die Schlaf gezielt verstärken. Diese wirken sehr gut bei akuten Schlafstörungsepisoden, bergen aber das Risiko der Gewöhnung. Tritt diese ein, muss die Dosis erhöht werden, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Hier ist also Vorsicht geboten.
Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass bei chronischer Schlaflosigkeit wachheitsfördernde Hirnregionen nachts überaktiv bleiben (Hyperarousal). Patient:innen beschreiben dies häufig als einen „umgelegten Wachschalter“, der nicht mehr abzuschalten ist. Der Neurotransmitter Orexin regt diese Wachheit an. Die neue Wirkstoffgruppe der Orexin-Rezeptorantagonisten blockiert die Wirkung von Orexin und lässt somit wieder natürlichen Schlaf zu, wo vorher keiner möglich war. Dies ermöglicht einen stabileren Schlaf, ohne die Verteilung der Schlafphasen zu verändern. Welches Medikament im Einzelfall zum Einsatz kommt, liegt immer im Ermessen der behandelnden Mediziner:innen.

Freigabenummer: AT-DA-00040
25. Juni 2024

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