Wie moderne Präparate, neue Therapiestrategien und spezialisierte Behandlungszentren zu einer besseren Versorgung beitragen erklärt Neurologin Barbara Kornek.
Ao. Univ.-Prof.in Priv.-Doz.in Dr.in med. univ. Barbara Kornek
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Abteilung für Neurologie an der MedUni Wien, Präsidentin der MS-Gesellschaft Wien
Was ist MS und welche Symptome begleiten die Erkrankung?
Die Multiple Sklerose ist eine chronische Erkrankung des Zentralnervensystems, bei der sich im Gehirn und Rückenmark Entzündungsherde bilden, die zur Schädigung von Nervenzellen und Myelin-bildenden Zellen führen. Typischerweise treten die Entzündungsherde im Sehnerv, Rückenmark, Kleinhirn oder Hirnstamm auf. Sie können eine Vielzahl an Beschwerden verursachen, etwa Seheinschränkungen, Gleichgewichts- und asymmetrische Gefühlsstörungen oder Lähmungen. Noch belastender sind oft kognitive Symptome wie Fatigue, Konzentrationsstörungen, Gedächtnisprobleme, aber auch psychische Symptome wie Angst und Depression. Die MS kann in jedem Lebensalter auftreten, am häufigsten von 28 bis 35 Jahren. Sie ist der Hauptgrund für eine neurologische Behinderung im jungen Erwachsenenalter.
Welche Limitationen waren mit den bisherigen Behandlungstherapien verbunden?
Die ersten zugelassenen Medikamente zur Reduktion der Schubrate und der Behinderungsprogression waren nur mäßig wirksam. Bei unzureichender Wirksamkeit musste auf nicht für MS zugelassene Chemotherapeutika gewechselt werden. Das Therapiekonzept folgte damals einem Eskalationsschema, das mehr der Sicherheit, denn der Wirksamkeit verpflichtet war: Die Therapie wurde aufgrund von Sicherheitsbedenken erst spät eskaliert, was eine Stabilisierung oft hinauszögerte und langfristig ein höheres Risiko für bleibende Behinderung barg. Erst seit 2006 sind in der EU Medikamente mit besserer Wirkung zur Behandlung hochaktiver Verläufe zugelassen.
Was machen moderne Therapien besser?
Time is Brain (Zeit ist Gehirn) – Eine frühe Behandlung kann entscheidend sein. Heute können bereits ab der Diagnose hochwirksame Therapien eingesetzt werden, die ein sehr gutes Nutzen-Risiko-Profil aufweisen: Wer heute an MS erkrankt, hat eine viel bessere Prognose als noch vor 20 Jahren. MS ist nicht heilbar, aber in vielen Fällen kann die Erkrankung zum Stillstand gebracht und das Auftreten einer bleibenden Behinderung verhindert werden. Mittlerweile sind ca. 20 Medikamente – darunter mehrere hochwirksame Präparate – mit unterschiedlicher Wirksamkeit und unterschiedlichen Wirkmechanismen und Verabreichungsformen zugelassen. Das Wissen um den Verlauf der Erkrankung und die Erfahrung mit Therapien haben deutlich zugenommen und nehmen weiter zu. Zugleich gibt es heute viele Strategien zur Minimierung von Therapierisiken. Das Therapierisiko ist dabei meist deutlich geringer als jenes einer unbehandelten MS. Bei letzterer gehen 50 % der Patient:innen binnen ca. fünfzehn Jahren in einen sekundären progressiven Verlauf über.1 In dieser Phase ist die Erkrankung selbst mit hochwirksamen Präparaten schwer zu behandeln.
Wie kommen Patient:innen zu einer idealen Therapie?
Für die Therapiewahl sind die Aktivität der MS, prognostische Faktoren wie Anzahl und Lokalisation der Herde im MRT, Alter, Begleiterkrankungen, Lebensstil, Kinderwunsch und persönliche Vorlieben bei der Verabreichungsform von Bedeutung. Mit Blick auf Wirksamkeit und Behandlungsrisiken entstehen hoch individualisierte Therapiekonzepte. Erstellt werden sie in sogenannten MS-Zentren, die für die Erstverordnung einer Therapie und deren Kontrollen verantwortlich sind. MS-Zentren sind niedergelassene Neurolog:innen oder auch neurologische Spezialambulanzen, die über besondere Kenntnisse und Erfahrung in der Behandlung der MS verfügen. Laufende Zertifizierungen und verpflichtende Fortbildungen sorgen dafür, dass Patient:innen auf eine hochqualitative Betreuung vertrauen können.
Quellenangabe:
1 https://www.msges.at/multiple-sklerose/verlaufsformen_multiple_sklerose/
Freigabe-Nr: 11/2024, FA-11320423