Zwischen Fashion-Shopping und täglichen Einkäufen schnell den Blutzucker messen? Informations- und Beratungsaktionen zu Diabetes können helfen, Bewusstsein für eine der Volkskrankheiten schlechthin zu schaffen.
In Österreich sind aktuell rund 600.000 Menschen von Diabetes
betroffen. Die Dunkelziffer dürfte dabei aber weitaus höher liegen. Denn
Schätzungen zufolge leben rund 200.000 ÖsterreichInnen mit Diabetes –
und wissen gar nichts davon. Unwissenheit und fehlende Awareness für
eine Volkskrankheit, die fast jeden bzw. jede zehnte ÖsterreicherIn
betrifft. Höchste Zeit also, Diabetes noch stärker in das öffentliche
Bewusstsein zu rücken. Aktionen wie öffentliche Blutzuckermessungen
versuchen genau hier anzusetzen und Awareness für Diabetes zu schaffen.
Vier bis fünfmal im Jahr organisiert daher die Selbsthilfegruppe der
Aktiven Diabetiker Österreichs Informationsstände sowie kostenlose
Blutzuckermessungen. So geschehen auch im August im Wiener
Einkaufszentrum Lugner City.
Messen, informieren und beraten
Während solcher Informations- und Beratungsaktionen werden je nach Interesse auch zwischen 15 und 180 Blutzuckermessungen durchgeführt, erklären Kurt Welz und Sylvia Burger. Die beiden leiden selbst seit Jahren an Diabetes und möchten vor allem ihre Erfahrungen weitergeben. „Mir macht es Spaß, Menschen zu beraten“, so Burger. „Und wir informieren die Leute darüber, dass die Blutzuckermessung nicht wehtut. Immerhin glauben viele Menschen, dass man sich Blut abnehmen lassen muss. Tatsächlich aber benötigen wir nur einen einzigen Tropfen Blut.“ Heutzutage ist die Messung glücklicherweise relativ unkompliziert. Dank modernster Forschungen und Entwicklungen in den letzten Jahren und Jahrzehnten gibt es außerdem eine Bandbreite an verschiedenen technischen Hilfsmitteln, die das Leben vieler von Diabetes Betroffenen deutlich erleichtert – sei es hinsichtlich der täglichen Blutzuckermessungen oder in Bezug auf die Insulingaben. Und dennoch ist die Diabetes-Früherkennung nach wie vor besonders wichtig – auch um potenzielle Spätfolgen möglichst früh zu vermeiden bzw. ihnen proaktiv zu begegnen.
Wenn die Werte jenseits von Gut und Böse liegen
Auch Peter Hopfinger, Gründer der größten deutschsprachigen Diabetes-Plattform (www.diabetes-austria.com) ist von Screening-Aktionen, wie jener in der Lugner City überzeugt: „Zirka 5 Prozent der Menschen, die sich bei Blutzuckermess-Aktionen testen lassen, haben Werte, die jenseits von Gut und Böse liegen. Dann ist es natürlich bereits höchste Zeit, hier einzugreifen.“ Für diese Menschen können Awareness-fördernde Aktionen ein wichtiger Eingriff in das eigene persönliche Gesundheitsmanagement und im Extremfall sogar lebensrettend sein. Denn vor allem den in Österreich vorherrschenden Typ-2-Diabetes spüren viele Betroffene lange nicht. Das kann auch Hopfinger bestätigen: „Man hat ja keine wirklichen Beschwerden. Wenn nun aber die Zuckerwerte über Jahre hinweg über dem Schnitt liegen, dann sind die körperlichen Folgen bereits problematisch und es kann sogar zu Schlaganfällen oder Herzinfarkten kommen.“
Proaktiven Zugang für DiabetikerInnen
Damit potenzielle Spätfolgen möglichst erst gar nicht auftreten können, gilt es, Menschen sowohl möglichst früh zu diagnostizieren als auch ihnen anschließend die richtige Therapie zukommen zu lassen. Davon ist auch Diabetes-Aktivist Hopfinger überzeugt. „Informieren, informieren, informieren! Es ist wichtig, dass sich PatientInnen einen möglichst Diabetes-affinen Facharzt suchen. Denn die Diagnose ist auf jeden Fall ein Schlag ins Gesicht.“ Damit dieser Schlag nicht zum Ernstfall wird, ist es wichtig, dass DiabetikerInnen einen aktiven und proaktiven Zugang zur Erkrankung finden. Dabei können nicht zuletzt auch Austausch und Vernetzung, etwa über Selbsthilfegruppen, einen wichtigen Beitrag leisten. So können Betroffene einerseits über ihre eigenen Erfahrungen reflektieren und sich andererseits aber auch Tipps von anderen DiabetikerInnen holen. Auch Welz, der sich immer wieder gern im Rahmen von Blutzuckermessungen engagiert, ist sich der Bedeutung des gegenseitigen Austausches bewusst: „Wir versuchen natürlich, Menschen, die zu uns kommen, zu helfen. Ich gebe mein Wissen gern weiter, aber umsetzen muss man es dennoch immer selber.“
Wer Diabetes hat, kann trotzdem Spaß haben
Der Begriff „Aktives Selbstmanagement” fällt daher auch immer wieder, wenn es darum geht, mit Diabetes als Erkrankung im Alltag umzugehen. Wer sich selbst weg vom „leidenden Patienten“ hin zum selbstbestimmten Umgang mit Diabetes orientieren möchte, dem rät auch Hopfinger, selbst seit Jahren Diabetiker, proaktiv zu werden. Wer an Diabetes leidet, sollte sich nicht zuletzt auch Gedanken über den eigenen Lebensstil machen. Denn viele Menschen, die bekannter- oder unbekannterweise an Diabetes leiden, sind übergewichtig. Mehr Bewegung und die richtige Ernährung können dabei helfen, ein gesundes Gewicht zu erreichen. Das sind neben der Blutzuckerkontrolle und eventuellen Insulingabe schließlich jene Parameter, die auch Hopfinger als absolut wichtig für den Umgang mit Diabetes ansieht. Und dennoch kann man das Leben mit Diabetes „mit vollinhaltlichem Spaß genießen“, so Hopfinger. Das Wichtigste daran sei aber vor allem auch die Akzeptanz gegenüber der Erkrankung. Denn das erleichtere schlussendlich auch den Zugang zu Diabetes.
So niederschwellig wie sonst nirgends
Apropos Zugang: Zumindest in Einkaufszentren, zwischen Fashion-Shopping und täglichen Einkäufen, ist das Angebot, sich über Diabetes zu informieren und gegebenenfalls auch den eigenen Blutzuckerspiegel überprüfen zu lassen, so niederschwellig wie kaum woanders. An der Blutzuckermessung hat im Übrigen auch der Hausherr der Lugner City, Richard Lugner, selbst teilgenommen. „Ich bin etwas wehleidig und habe immer ein mulmiges Gefühl. Allerdings war die Angst umsonst“, so Lugner. „Ich finde es gut, dass man die Blutzuckerwerte als Gratisservice anbietet und so im Falle von zu hohen Werten reagieren kann.“ Auch in Zukunft wird das Team rund um engagierte DiabetikerInnen weiter auf die Volkskrankheit schlechthin aufmerksam machen. Denn weiterhin fehlt es nach wie vor oftmals an Basisinformationen über Diabetes – und nicht zuletzt auch an einer österreichweiten nationalen Diabetes-Strategie.
Nachhaltige Awareness für eine Volkskrankheit
Jener im Jahr 2015 präsentierten Strategie fehlt es nämlich nach wie vor an politischer Umsetzung, weiß Hopfinger. „Mittlerweile liegt das Thema brach und niemand kümmert sich darum. Es fehlt einfach am politischen Willen. Wir müssen das Thema Diabetes wieder zurück in die öffentliche Wahrnehmung bringen. Und das tun wir natürlich auch.“ Ob man sich nun im Vorbeigehen eine Broschüre mitnimmt, sich tatsächlich hinsetzt und seinen Blutzucker messen lässt, oder ob man mit (anderen) DiabetikerInnen ins Gespräch kommt – öffentliche Aktionen schaffen Awareness. Und das kann wiederum helfen, auf den Umgang mit, die Perspektive auf und schlussendlich das Bewusstsein für die Volkskrankheit Diabetes für Betroffene aber auch für Angehörige nachhaltig aufmerksam zu machen.